Farid Karimi
Pipelinepolitik in Zeiten des Krieges: Nord Stream-Projekte und die Konvergenz der Energiesicherheitsdilemmata im Ostseeraum
Der Einmarsch Russlands in die Ukraine veränderte die geopolitische Lage in Europa und führte zu einer großen Wende in der Energiepolitik der EU. Die EU schien von Russlands Energieerpressung und seiner instrumentellen Nutzung der Gasinfrastruktur seit dem Ausbruch des Krieges überrascht zu sein. Und das, obwohl die Entwicklung von Nord Stream 2 nach der Annexion ukrainischer Gebiete durch Russland im Jahr 2014 darauf abzielte, die Ukraine als Transitland zu umgehen und sie anfälliger für russische Einflüsse zu machen. Die Entwicklung der Projekte Nord Stream 1 und 2 spaltete die EU und die Ostseeregion (BSR) und machte unterschiedliche Prioritäten der nationalen Energiepolitiken deutlich. Wenn sich das typische Energietrilemma um Versorgungssicherheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit dreht, dann betonten die postsowjetischen Länder wie Polen und die baltischen Staaten die Versorgungssicherheit und forderten mehr Solidarität innerhalb des Blocks, während sie den Bau der beiden Nord Stream-Pipelines entschieden ablehnten. Im Gegensatz dazu wurde die Energiepolitik Deutschlands und in gewissem Maße auch der nordischen Länder eher von wirtschaftlichen und Nachhaltigkeitsaspekten bestimmt, während sie die Nord Stream-Projekte entweder unterstützten oder ihnen gegenüber neutral blieben. Nach dem Krieg in der Ukraine nähern sich die regionalen Ansichten zur Energiesicherheit und insbesondere zur Versorgungssicherheit an. Was sind jedoch die energiepolitischen Auswirkungen dieses Prozesses? Welche Lehren können aus dem Nord Stream 2-Fiasko gezogen werden?
Diese Studie untersucht den öffentlichen Diskurs über die Nord Stream-Projekte in drei Ländern an der Ostseeküste: Deutschland, Lettland und Finnland. Die Ex-post-Analyse der sich wandelnden Herangehensweisen an das Projekt zeigt die Komplexität der konkurrierenden Interessen und Agenden, die nun um eine Neuausrichtung ringen werden - mit allen politischen Auswirkungen auf die nationale und regionale Energiewende-Agenda.
Biografie
Dr. Farid Karimi ist Dozent an der Fakultät für Sozialwissenschaften und Philosophie der Universität Jyväskylä, Finnland. Seine Hauptforschungsinteressen liegen im Bereich der Sozialwissenschaften, mit besonderem Schwerpunkt auf Fragen im Zusammenhang mit der Energiewende, der Energiesicherheit und der Energiepolitik.
Farid hat mehrere Jahre internationale Arbeitserfahrung in verschiedenen interdisziplinären Bereichen, sowohl innerhalb als auch außerhalb der akademischen Welt. Er hat unter anderem an der Novia University of Applied Sciences, der Aalto University und der Universität Helsinki in Finnland, der Universität Greifswald in Deutschland und als Gastwissenschaftler am International Institute for Applied Systems Analysis in Österreich gearbeitet. Er hat einen Doktortitel in Sozialwissenschaften von der Universität Helsinki und einen MSc. in Energie und Gesellschaft von der Technischen Universität Delft in den Niederlanden. Während seines Promotionsstudiums besuchte er die University of Essex, UK, und die University of Texas, USA.